Obwohl Marlon nun täglich andere Aufgaben erhielt und in anderen Heften arbeitete, verhielt er sich den anderen Kindern gegenüber nach wie vor sehr herablassend und verächtlich.
Manchmal hatte ich sogar den Eindruck, dass das andere Material dieses Verhalten forcierte und so lasen wir gemeinsam viele thematisch passende Bilderbücher und besprachen oft das zwischenmenschliche Verhalten.
Eines Tages, im Rahmen eines Elternsprechtags, stand ich mit Marlons Mutter im Treppenhaus,
als er einen schweren Gegenstand vom oberen Treppenhaus in den unteren Flur warf und der
Gegenstand jemanden traf.
Ich sprach Marlon direkt darauf an und fand das Verhalten überhaupt nicht okay.
Auch Marlons Mutter - so meine Wahrnehmung - fand das Verhalten nicht in Ordnung, doch sie sagte:
"Ach, wenn er das doch möchte!"
Dieses "Ach, wenn er das doch möchte!" zog sich so ein wenig durch Marlons Grundschulzeit.
Nicht immer kann man tun, was man gerade möchte, auch etwas, das Kinder möglicherweise erst lernen müssen.
Wenn meine eigenen Bedürfnisse anderen Menschen schaden können, muss ich lernen mich zurückzunehmen.
Kinder kommen ja mit einer mehrjährigen Lebensbiographie zu uns in die Schule.
Und wenn ich über meine ersten Kindheitsjahre gelernt habe, dass ich immer und ausschließlich meinen Bedürfnissen folgen darf, ist es durchaus schwierig, anzuerkennen, dass da auch andere Menschen mit anderen Bedürfnissen sind und ich möglicherweise Rücksicht nehmen muss.
Den Lernprozess, den Marlon durchlaufen musste, musste ja auch ich durchlaufen.
Ich erkannte, dass es wenig Sinn macht, wütend auf Kinder zu sein, die noch nicht gelernt hatten, Rücksicht zu nehmen, denn meist gerieten und geraten diese
Kinder ja unverschuldet in eine solche Situation.
"Wenn er das doch möchte!"
Vielleicht wird das auch manchmal verwechselt mit "Wenn er das doch braucht!"
Ich hatte nicht immer Geduld mit Marlon. Und die anderen Kinder auch nicht.
Sie nahmen sehr genau wahr, dass Marlon sich für besser, klüger und großartiger hielt als sie.
Doch es kam, wie es kommen musste und eines Tages war ein anderes Kind in der Klasse in der Lage, eine Aufgabe zu lösen, die Marlon nicht lösen konnte.
Bitter für Marlon.
Gut für die gemeinsame Zukunft der Klasse.