Ich hatte mich für Latein entschieden. Nicht, weil mich Latein interessierte - obwohl ich genau das natürlich behauptete - nein, weil ich wirklich große Angst vor dem Scheitern im Französischen hatte. Allein vor der Aussprache, da man mir bereits im Fach Englisch zu verstehen gab, dass ich nicht ordentlich sprechen könne....
"Naja, bei dem Elternhaus!", war dann häufig der Zusatz. Das prägt bis heute mein Leben und das Sprechen in englischer Sprache ist immer verbunden mit Ängsten und Gefühlen des Scheitern.
Der Lateinlehrer jedoch, so schien es, war wahnsinnig nett und so innovativ. Er spielte römische Schlachten mit Playmobilmännchen nach und alle liebten es.
Mir fiel es schwer, mich auf Latein zu konzentrieren.
Nein, mehr noch, es fiel mir schwer, mich überhaupt auf den Unterricht zu konzentrieren, da ich eigentlich nur damit beschäftigt war, gemocht und anerkannt zu werden.
Ich lernte und übte nicht genug. Wenn ich zu Hause war, schrieb ich Gedichte oder ellenlange Texte in mein Tagebuch.
Es lag allein an mir, denn Zeit zum Lernen hatte ich genug und es war auch nicht so, als hätte ich nicht gewusst, wie man lernt.
Ich mochte nicht.
Schule war zu einer Kampfarena geworden.
Ich erinnere mich gut an den Tag, an dem wir eine Lateinarbeit zurückbekamen. Ich erinnere mich deshalb so gut, weil der Lehrer mich zum Gespött der ganzen Lerngruppe machte.
Meine Arbeit war schlecht. Natürlich war sie schlecht, denn ich hatte nicht geübt und im Grunde keine Ahnung, worum es ging.
Zwei Sätze meiner Übersetzung waren so verquer falsch, dass der Lehrer sie als schlechtes Beispiel unter mehrmaliger Nennung meines Namens vorlas.
Alle lachten.
Ich glaube, das, was ich in diesem Moment empfand, war keine Scham.
Es war unbändige Wut.
Ich möchte es nicht Hass nennen, obwohl es sich in dem Moment sicher so anfühlte.
Wut auf mich, weil ich nicht gelernt hatte, aber vor allem Wut auf den Lehrer, der mir nicht einfach stillschweigend die Arbeit mit der schlechten Zensur zurückgab, sondern mich schlicht vorführte und das auf eine ganz und gar furchtbare Weise.
Es war diese Wut, die ich fortan in mir trug und die mich täglich in die Schule begleitete. Nicht wirklich bemerkt von den meisten, denn ich trug sie nach innen und glücklicherweise nicht nach außen.
Das ist 40 Jahre her.
Ich hätte niemals vermutet, dass meine Tochter an derselben Schule, Jahrzehnte später, Ähnliches widerfahren würde.
Meine Schulzeit am Gymnasium war ein einziges Scheitern.
Vielleicht auch ein Grund dafür, dass ich mich seit vielen Jahren für eine Schule des Gelingens starkmache.
Für alle Kinder.
Für jeden.