Ich war genervt. Ich war so komplett angenervt und frustriert.
Und das Wissen darum, dass ich in meiner Profession nicht in der Form
angenervt und frustriert hätte sein sollen oder es besser hätte verbergen sollen, machte mich noch unleidlicher.
Am liebsten hätte ich Lia ins Auto gepackt, zum Schulamt gefahren und vor die Schulaufsicht gesetzt.
"Hier, bitte!" und "sagen Sie mir bitte einfach, wie ich mit der Situation umgehen soll!"
Ich war dieses Anklagende: "Es fehlen aber noch die Unterlagen der Eltern und die Arztberichte!" so leid.
So, als hätten wir nicht täglich intensiv versucht, an die fehlenden Unterlagen zu kommen.
So, als wären wir nicht mehrmals bei Lia zu Hause gewesen, um um genau diese Unterlagen zu bitten.
So, als würden wir nachlässig arbeiten.
So, als würden wir Lia nicht helfen wollen.
Ich war genervt und frustriert und fühlte mich gefangen in einer Endlosspirale.
Natürlich war und ist mir die Wichtigkeit der Unterlagen und die Wichtigkeit der Vollständigkeit bewusst.
Noch bewusster jedoch war mir, dass da ein Kind war, das dringend - und ich meine wirklich dringend - Hilfe brauchte.
Möglicherweise passen nicht alle familiären Verhältnisse in das praktizierte bürokratische System.
Möglicherweise.
Aber ein Abweichen von der Norm war nicht vorgesehen.
Und so blieb Lia vorerst in unserer Klasse.
Und wir blieben hilflos. Und ich blieb hilflos.
Ich schaffte eine Menge Material an, von dem ich mir erhoffte, dass ich damit Lia gut würde fördern können.
Ich besuchte Fortbildungen, ich las Fachbücher.
Und mit jedem Morgen, den ich in meine Klasse ging, war mir bewusst:
Ich kann zwar mein Bestes geben, aber für Lia reicht das nicht aus.
"Vielleicht haben Sie Inklusion einfach noch nicht verstanden!", sagte man mir.
"Vielleicht überdenken Sie Ihre Herangehensweise und Ihre Einstellung einmal!"
Ja, vielleicht.
Vielleicht musste ich mich aber auch einfach nur von der Vorstellung lösen, das Beste für jemanden sein zu können und zu dürfen.