Es hatte mich niemand darauf vorbereitet oder vorgewarnt, dass ich durch meine Kleidung, mein Zuhause und die Berufe meiner Eltern klassifiziert werden würde.
Dass meine Art zu sprechen, mich auszudrücken und die Tatsache, dass wir in einer Wohnung
zur Miete wohnten, einen Unterschied machen würden.
Aber so war es und die ersten Wochen am Gymnasium waren davon geprägt, dass ich von allen Seiten zu spüren bekam, dass ich eigentlich so gar nicht an diesen Ort gehörte. Da war der Klassenlehrer, der mehrmals öffentlich äußerte, er sei irritiert ob des Arbeiterjobs meines Vaters. Da waren Mitschüler und Mitschülerinnen, die lauthals darüber sprachen, wie peinlich Hosen von C & A wären. Da waren mitleidvolle Blicke, wenn ich wieder einen selbstgestrickten Pullover trug, den meine Großmutter mir geschenkt hatte.
Ich war anders. Das hatte mir niemand gesagt.
In meiner heilen und sehr naiven Kinderwelt gab es diese Unterschiede nicht.
An der Grundschule spielten sie kein Rolle, da waren wir bunt gemischt.
Am Gymnasium nicht mehr.
Hier ging es elitärer zu und ich geriet - unerwartet - in eine erste frühe Identitätskrise.
Ich erlebte die Unterschiede bei Klassentreffen mit den Eltern.
Meine Eltern waren herzlich und laut und im Vergleich zu den anderen Eltern unbedacht, extrovertiert und ja, ich muss es so sagen, mir peinlich.
Die anderen Eltern sprachen gewählt, leise und zurückgenommen.
Mein Eltern benutzten Fremdwörter falsch, sprachen Wörter falsch aus und überschlugen sich mit Stammtischparolen.
Das bewirkte hochgezogene Augenbrauen bei den anderen Eltern und Gefühle des Unwohlseins bei mir.
Zum ersten Mal wurde ich mit dem Begriff Klassenunterschiede konfrontiert und das nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis.
Ich gehörte nicht zum inneren Kreis. Zum Kreis der coolen und angesagten Mädchen und Jungen.
Ich stand außen, beobachtete und mit einem Male erkannte ich, dass das familiäre Leben sich unterscheiden konnte.
Dass man anders leben konnte, als in einer Mietwohnung, dass es teure und überteuerte Kleidung gab, Statussymbole und Berufe, die mehr wertgeschätzt wurden als andere.
Das alles war für mich neu.
In der Grundschule hatte ich viele Freundinnen und Freunde, fühlte mich "beliebt" und akzeptiert.
Am Gymnasium war ich die Außenseiterin, die Bemitleidete, die überheblich angelächelte.
Mein einziger Wunsch war es, dazuzugehören.
Also suchte ich mir eine Nische.
Ich wählte nicht die beste Option, aber sie funktionierte.
Ich wurde der Klassenclown.
Ich kenne das nur zu gut. Dieser Wunsch dazuzugehören. Und auch bei mir war es so, dass es vor der weiterführenden Schule gar kein Problem war. Aber auf einmal waren da die Mädchen mit den teuren Pullovern. Jeden Tag einen anderen. Meine Eltern schenkten mir einen jedes Jahr zum Geburtstag. Es gab die Kinder mit den reichen Eltern. Nur die fuhren zum Auslandsjahr. Und es gab die Freundin, die sich von mir distanzierte, um zu den Anwalts- und Arztkindern gehören zu können. Auch ich fand meine Nische. Es war die Musikschule an vielen Tagen der Woche mit Freundinnen und gemeinsamer Freizeit. Dennoch litt ich zuvor lange unter diesen offensichtlichen Klassenunterschieden.
vom 21.10.2023, 08.00